Im Januar 2020 startete die generalistische Pflegeausbildung. Die Ausbildungszahlen in der Pflege steigen seither. Wer ergreift diesen neuen Beruf? Und warum? Zu Besuch in der Caritas-Berufsfachschule für Pflege in Landshut.
Ein Montagmorgen in der Caritas-Berufsfachschule für Pflege in Landshut: Da ist Stephie, 39. Früher war sie beim Bundesnachrichtendienst in München angestellt, heute macht sie eine Ausbildung zur Pflegefachfrau. Und da ist Toni, 34. In Venedig, wo er bis vor Kurzem lebte, arbeitete er als Buchhalter. Der Liebe wegen ist er nach Niederbayern gezogen und macht nun die Ausbildung zum Pflegefachmann. Und da ist Ema, 18. Die Bosnierin brach ihre Ausbildung zur Friseurin ab, lernt nun Pflegefachfrau und heißt bei denen, die sie pflegt, „das Vögelchen“. Sie ist die einzige, die morgens um fünf singt, wenn sie durch die Flure im Altenheim geht, wo sie den Praxisteil ihrer Ausbildung macht.
Stephie, Toni und Ema sind drei von mehr als 105.000 jungen Leuten in Deutschland, die derzeit die neue generalistische Pflegeausbildung absolvieren. Seit Anfang 2020 ist in Deutschland diese Ausbildung zur Pflegefachfrau beziehungsweise zum Pflegefachmann möglich. Mit der Einführung soll die Arbeit in der Pflege attraktiver gemacht und so dem Fachkräftemangel begegnet werden. Bislang mit Erfolg. Die Ausbildungszahlen sind seit 2020 kontinuierlich gestiegen, im Jahr 2021 um weitere sieben Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Auch die Caritas-Berufsfachschule für Pflege in Landshut hat umgestellt: Sie bildet nicht länger in der Altenpflege aus, sondern für die Pflege von Menschen aller Altersstufen, vom Neugeborenen bis zur Greisin. Und auch hier steigen die Ausbildungszahlen: Während die letzte Klasse in der Altenpflege in diesem Jahr mit 17 Absolventen abschließt, begannen in den Jahren 2020 und 2021 jeweils 27 Auszubildende die generalistische Ausbildung.
Stephie hat Prüfungsangst. Sie musste als Jugendliche die Schule abbrechen, fand dennoch eine Stelle beim Bundesnachrichtendienst, wo auch ihre Eltern arbeiteten. Die zweifache Mutter merkte aber bald, dass sie etwas ganz anderes brauchte – und begann als Helferin im Altenheim der Mallersdorfer Schwestern, nahe ihres Wohnorts. Dort arbeitet sie heute noch und macht nun, trotz Prüfungsangst und ermutigt von ihren Kolleginnen, die Ausbildung zur Pflegefachfrau. Ihre Liebe zur Pflege trägt sie seit ihrer Kindheit in sich. „Ich habe schon bei meiner Oma Blutdruck gemessen“, sagt sie.
Ema, „das Vögelchen“, kam vor fünf Jahren mit ihrer Mutter aus Bosnien nach Deutschland. In einer Übergangsklasse lernte sie innerhalb von sechs Monaten Deutsch, schloss die Schule ab und begann eine Ausbildung zur Friseurin – für sie die falsche Wahl. Bei einem Praktikum im Altenheim lernte sie schließlich den Beruf kennen, in dem sie sich nun ausbilden lässt. „Was sollen wir nur ohne Sie machen“, sagten die Bewohnerinnen und Bewohner aus dem Altenheim zu ihr, bevor sie an diesem Montag an die Berufsschule zum Theorieblock kam. „Das macht mich glücklich. Diesen Beruf muss man lieben“, sagt Ema, die lange nicht wusste, wo sie hingehört, und nun angekommen ist.
Toni, der Venezianer, ist der Liebe hinterher bis nach Niederbayern gezogen. Sein Freund arbeitet in der Automobilbranche. Toni braucht den Kontakt zu Menschen. Er mimt gerne den Clown, bringt die alten Menschen zum Lachen. „Sie sind allein und brauchen Kommunikation“, sagt Toni. „Lachen ist gesund.“
Die drei sind auf dem Arbeitsmarkt gefragt. Bis zum Jahr 2030 fehlen bundesweit 500.000 Fachkräfte in der Pflege, besagt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. Zwar ist der Fachkräftemangel aufgrund des demografischen Wandels ein branchenübergreifendes Problem, doch die Pflege trifft er doppelt: Immer weniger Erwerbstätige treffen auf immer mehr Pflegebedürftige.
Damit die Versorgungslücke kleiner wird, bildet die Caritas im Bistum Regensburg junge Leute sowie Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger zu Pflegeprofis aus. Und deshalb steht Mario Münch, Schulleiter der Caritas-Berufsfachschule für Pflege in Landshut, an diesem Montagmorgen im Klassenraum und vermittelt fachpraktisches Wissen zur Dekubitusprophylaxe, dem Vorbeugen gegen Wundliegen.
Die Klasse von Stephie, Toni und Emma ist im ersten Lehrjahr. Es geht um die Grundlagen. Und es geht um das Selbstverständnis von Pflegenden. Im Lehrplan steht: „Die Auszubildenden reflektieren den Pflegeberuf als verantwortungsvollen, sinnstiftenden Beruf mit vielfältigen Entwicklungsmöglichkeiten und bauen eine Vorstellung von professionellem Pflegehandeln auf.“ Vorbei die Zeiten, in denen die Pflege als zweitrangig galt. „Pflege ist eine eigene Säule im Gesundheitssystem“, sagt Münch. Es geht ihm um Professionalität. Wer seine Schule verlässt, soll das mit Stolz tun.
Dafür kniet Ema erstmal auf dem Boden. Auf dem Stundenplan steht heute: „Vorbereitung fachpraktischer Leistungsnachweis.“ An der Erste-Hilfe-Station lernt Ema an einer Schaupuppe die Herz-Rhythmus-Massage. An Station II lernen Stephie und Toni die Dekubitusprophylaxe, an Station III checken sie den Puls. Einen Raum weiter, an Station I, geht es um die Nahrungszufuhr über Sonden, an Station IV zeigt die Klassenleiterin, wie man Infusionen legt. An Tischen stecken Schülerinnen und Schüler ihre Köpfe zusammen und lösen Kreuzworträtsel zu Fachbegriffen oder beantworten Fragen zur Gesundheitsförderung, beispielsweise: „Wie definiert die WHO Gesundheit?“ Wer die Frage richtig beantwortet, notiert: „Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.“
Darum geht es auch in der neuen Pflegeausbildung: um ein neues Verständnis von Pflege. Natürlich heißt Pflege, Leiden zu lindern. Es geht aber vor allem darum, Leben zu erhalten und Gesundheit zu fördern. Im neuen Lehrplan wird dieses neue Verständnis mitunter über Kompetenzen vermittelt. Eine dieser fächerübergreifenden Kompetenzen lautet: „Auszubildende gehen selbstfürsorglich mit sich um und tragen zur eigenen Gesunderhaltung bei, nehmen Unterstützungsangebote wahr oder fordern diese am jeweiligen Lernort ein.“ Pflege heißt also auch Selbstfürsorge.
Die Klassenleiterin und stellvertretende Schulleiterin Silke Voigt hat großes Vertrauen in die Lern- und Leistungsbereitschaft ihrer Schülerinnen und Schüler: „Die sind gut. Sie haben zudem eine tolle Klassengemeinschaft“, sagt Voigt. Und das ist nicht die leichteste Aufgabe. Zehn Nationen sitzen bei ihr im Klassenzimmer. Neben Stephie, Toni und Ema sind da Schülerinnen und Schüler beispielsweise aus Madagaskar, aus Peru, aus Indonesien, aus der Ukraine oder aus Ungarn. Man könnte sich auf die Unterschiede konzentrieren. Aber die angehenden Pflegefachrauen und -fachmänner haben die transkulturelle Kompetenz längst verinnerlicht und konzentrieren sich lieber auf die Gemeinsamkeiten. Sie streben dasselbe Ziel an: eine Karriere als Mensch. Sie alle möchten Sprünge in der Pflege machen.